Die abschließende Frage auf der letzten Seite lautete: Worauf
wartet ein Kind im Jahresverlauf und auf welche Ereignisse wartet ein erwachsener
Mensch in diesem Zeitraum. Als ein Beispiel für kindliche Erwartungen sei hier das
Weihnachtsfest genannt, doch Ostern oder die stetig wiederkehrenden Geburtstagsfeierlichkeiten
im Lebenskreis eines Menschen, könnten es ebenso sein.
Um beim Weihnachtsfest zu bleiben, kaum ein Kind erwartet dies nicht mehr oder weniger
sehnsüchtig, zumindest unter normalen familiären Verhältnissen. Ist es doch das Fest
mit einem reich gedeckten Gabentisch und das Fest, an dem es das eine oder andere
lang ersehnte Geschenk gibt. In der Regel ein Geschenk, welches sich ein Kind bereits
im Jahresverlauf wünschte.
Je mehr sich ein Kind wünscht, dieses Geschenk am Heiligen Abend zu erhalten, umso
sehnsüchtiger wird das Weihnachtsfest erwartet. Doch die Zeit bis Weihnachten will
für das eine oder andere Kind einfach nicht vergehen. Diese Wartezeit dehnt sich
im Zeitgefühl eines Kindes umso mehr aus, je mehr es dieses Ereignis erwartet und
herbeisehnt. Die Zeit, bis es denn endlich soweit ist, die wird vielen Kindern wie
eine kleine Ewigkeit erscheinen.
Doch nicht nur die reine Wartezeit auf ein freudiges Ereignis dehnt die zeitlichen
Vorstellungsräume im Leben eines Kindes aus. Als weiteres kommt die kindliche Ungeduld
hinzu. Voller Vorfreude etwas voller Ungeduld erwarten, lässt Stunden wie Tage,
Tage wie Wochen und Wochen wie eine Ewigkeit erscheinen. Je älter der Mensch wird,
umso mehr weicht diese Vorfreude und mit der Vorfreude die Ungeduld. Es ist nicht
mehr das Fest der Geschenke, nur noch ein Fest der Besinnung. Bei älteren Menschen,
die unter Vereinsamung leiden, mitunter nicht einmal das mehr.
Unabhängig von der Bedeutung des Weihnachtsfestes für den Einzelnen, mit dem Erwachsenwerden
übt sich der Mensch zusehends, Ruhe und Geduld in seiner täglichen Routine sowie
in sonstigen Lebenssituationen und in zeitlichen Abläufen zu bewahren.
Ein Beispiel für den Zuwachs an Ruhe und Gelassenheit: Der eine oder andere Jugendliche
rast noch voller Übermut und ohne Rücksicht auf Verluste mit seinem ersten Gefährt
durch die Gegend. Wobei auch noch etwas ältere sich nicht unbedingt an Geschwindigkeitsbegrenzungen
halten. Doch spätestens ab einem reiferen Alter kommt es bei den meisten Menschen
nur noch darauf an, möglichst stressfrei tägliche oder wöchentliche Fahrstrecken
zu bewältigen. Sicherlich, Ausnahmen gibt es auch hier, doch ein Mensch wird wohl
in der Regel im Rentenalter geruhsamer fahren, als in seiner Jugend.
Beispiele und Vergleiche hinken stets und Ausnahmen wird es immer geben. Verallgemeinernd
lässt sich dennoch die Feststellung treffen, je weiter der Mensch in seinem Lebenskreis
voranschreitet, je mehr lernt er sich in Geduld zu fassen und je mehr lässt das
Zeitgefühl einige Zeiträume buchstäblich schrumpfen. Verstärkt wird dieses Zusammenschrumpfen
noch dadurch, dass oftmals diese einstige kindliche Vorfreude auf ein bestimmtes
Ereignis mit dem Erwachsenwerden von Jahr zu Jahr mehr verblasst. Irgendwann stellen
viele Menschen fest: "Was denn, schon wieder Weihnachten? Wie schnell ist das Jahr
nur vergangen." Doch das Jahr ist nicht wirklich schneller vergangen.
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