Die Wahrnehmung der Zeit und das Gefühl, dass mit zunehmendem
Alter die Zeit immer schneller vergehen würde, ist noch mit weiteren Gefühlen gekoppelt.
Eines dieser Gefühle liegt in der Zufriedenheit mit seinem bisherigen Leben und
mit dem bisher im Leben Erreichten. Überwiegt in diesem Zusammenhang ein Gefühl
der Zufriedenheit, so wird der Mensch dazu neigen, sein eigenes Leben als ein erfülltes
Leben zu betrachten.
Gleich ob es sich um eine Rückschau in die Vergangenheit handelt oder um das Leben
in der Gegenwart, ein erfülltes Leben dehnt die zeitliche Wahrnehmung zwar nicht
direkt aus, doch nutzlos vertane Jahre können gefühlsmäßig die Vergangenheit verkürzt
erscheinen lassen. Ein erfülltes Leben erscheint einzelnen Menschen rückblickend
hingegen etwas länger. Doch was ist ein erfülltes Leben?
Um diese Frage zu beantworten, kann es nur von Vorteil sein, sich vorher ein ganz
klein wenig mit dem Wesen von Erinnerungen zu befassen. Wie Erinnerungen zustande
kommen und abgespeichert werden, welche Informationen dabei den Weg vom Kurzzeitgedächtnis
ins Langzeitgedächtnis finden, danach forschen Wissenschaftler seit Jahrzehnten,
doch diese biologischen Abläufe und neuronalen Prozesse sind in diesem Zusammenhang
weniger gemeint. Von größerem Interesse sind hingegen die psychologischen Aspekte.
Betrachtet ein Mensch seine eigenen Erinnerungen kritisch,
so wird er feststellen, dass er sich vor allen an die angenehmen Dinge im Leben
erinnert. Selbst bei Erinnerungen an Ereignisse, die sich eigentlich in einer längeren
"düsteren" Lebensphase abspielten, wird er sich kaum noch an ausgesprochen negative
Ereignisse erinnern (insofern es sich nicht um traumatische Ereignisse handelte
oder er nicht gerade eine depressive Episode durchlebt), sondern nur noch an
die wenigen positiven Lichtblicke.
Unser Bewusstsein besitzt vermutlich eine Reihe unterschiedlicher Filter und schaltet
einen dieser Filter zum Selbstschutz ein, damit sich negative Erlebnisse nicht in
der Erinnerung summieren und aufschaukeln können. Wäre es nicht so, könnten sich
aus der einen oder anderen Erinnerung nachträglich noch einer Art von Trauma entwickeln.
Weiterhin werden Menschen, die beginnen, sich stetig mit negativen Dingen in ihrer
Vergangenheit auseinander zu setzen (dazu gehören zum Beispiel Vorkommnisse
und Lebensphasen, in denen sie das Gefühl hatten zu versagen), sich früher
oder später erneut wie ein Versager fühlen. Dieses negative und bedrückende Gefühl
des "versagt zu haben" kann zu schweren seelischen Depressionen führen, wenn die
Erinnerungen an diese negativen Erlebnissen über Tage oder Wochen anhalten, oder
wird erst durch depressive Episoden ausgelöst.
Somit könnte an dieser Stelle vereinfacht zusammengefasst werden, die Vergangenheit
wird in der Erinnerung länger erscheinen, wenn ein Mensch bei einem Rückblick in
die Vergangenheit sein bisheriges Leben als ein erfülltes Leben betrachtet. Womit
jedoch die eigentliche Fragestellung noch nicht gänzlich beantwortet ist, was ein
erfülltes Leben eigentlich ausmacht. Mehr zum Thema "erfülltes Leben" auf der nächsten
Seite.
Weiterlesen › Lebenskreis » Leben in der Erinnerung
Lebenskreis • 01
• 02
• 03
• 04
• 05
• 06
• 07
• 08
• 09
• 10
• 11
« / »
• 13
• 14