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Die Zeit mit den Sinnen erfassen

Von Synästheten und der Zeit-Raum-Synästhesie

Kann ein Mensch die Zeit mit seinem Sinnen erfassen?
Die Antwort auf diese Frage lautet eigentlich nein, denn weder der Mensch noch andere Organismen verfügen über spezielle Sinnesorgane nebst den er­forderlichen Rezeptoren zur Wahrnehmung der Zeit als solche, zumindest konnten bisher noch keine nachgewiesen werden.
Es sei angemerkt, etwas anders sieht es mit der Steuerung unserer biologi­schen Rhythmen aus. Um für letztere unsere innere Uhr, über die mehr oder weniger ausgeprägt alle Lebensformen verfügen, mit dem Tageslicht zu syn­chronisieren, verfügt unserer Gehirn über eine kleine Schaltzentrale. Diese kleine Schaltzentrale befindet sich hinter den Augen etwas oberhalb der Stelle, an der sich die Seenerven x-förmig kreuzen und ist mit speziellen Lichtrezep­toren in den Netzhäuten der Augen verknüpft. Diese Schaltzentrale (Nucleus suprachiasmaticus oder kurz SCN) hat zwar Einfluss auf unsere biologischen Rhythmen, nur die genaue Zeit können wir mit ihrer Hilfe weder direkt wahr­nehmen noch irgendwie über Umwegen feststellen.


Übersicht » Synästhesie


Das Fehlen eines speziellen Sinnesorgans zur Feststellung eines Zeitpunktes dürfte unter anderem daran liegen, dass die evolutionäre Ausbildung eines Sin­nes für Tiere oder Pflanzen keinen Vorteil mit sich gebracht hätte. Einem Tier oder einer Pflanze kann es egal sein, ob es 5 Minuten vor oder nach 12.00 Uhr ist, einzig die biologischen Rhythmen sollten auf die Umweltbedingungen abge­stimmt sein. Wobei sich weiterhin die Frage stellt, was Zeit eigentlich ist, denn so richtig erfassen lässt sich das Wesen der Zeit bislang noch nicht.
Weiterhin möge der Leser bedenken, die Einteilung eines Tages in Stunden, Minuten und Sekunden ist vom Menschen gemacht, ein Vorbild für eine der­artige Unterteilung existiert in unserer natürlichen Umwelt nicht. Für Pflanzen und Tiere genügt eher eine Synchronisation mit dem Sonnenstand und der Um­gebungs­temperatur, um sich auf ihre Umwelt einzustellen, was auch für den frühzeitlichen Menschen noch zutraf.

Was der Mensch jedoch vermag, ist die subjektive Wahrnehmung und Ein­schät­zung von Zeiträumen, Zeitspannen und zeitlichen Intervallen. Wie ein Mensch dabei die Zeit zwischen Vergangenheit und Gegenwart wahrnahm, kann er recht gut anderen Menschen mitteilen. So ist der Mensch durchaus in der Lage, andere Menschen darüber zu informieren, ob ihm z.B. eine Zeit­spanne nur wie ein winziger Augen­blick, eine ganze Weile oder eine kleine Ewigkeit erschien.
Dass ein Augenblick von zwei oder mehr Menschen recht unterschiedlich emp­funden werden kann, bleibt nicht aus und sei nur am Rande vermerkt. Einige Synästheten, genauer Zeit-Raum-Synästheten, können darüber hinausgehend noch mehr, sie können Zeitintervalle visualisieren.

Synästhesie (allgemein)

Mit Synästhesie wird allgemein die Verknüpfung von unterschiedlichen Sinnen be­zeichnet. Wird ein Sinn gereizt, so wird bei der Auswertung des Reizes im Gehirn mindestens ein weiterer Sinn mit angesprochen. Doch wie sollte ein Nicht-Synästhet sich so eine Verknüpfung vorstellen?

Nun wir alle kennen wohl mehr oder weniger die Behauptung, dass das Auge mitessen würde. Dem einen oder anderen unter den Lesern dürfte es zumin­dest nicht fremd sein, dass eine Werbesendung mit lediglich visuell wahrnehm­baren Speisen, ihm bereits förmlich das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Schlimmer noch, wenn er während des Werbespots die Speise bereits riechen und schmecken kann, obwohl diese nicht einmal im Kühlschrank vor­rätig ist.
Bei diesem Beispiel handelt es sich noch nicht um eine echte Synästhesie, da lediglich bei der Auswertung einer visuellen Wahrnehmung im Gehirn das Er­gebnis der Auswertung mit den gespeicherten Erinnerungen an Geruch und Geschmack kombiniert wird. Bei Synästheten werden hingegen eigentlich ge­trennte Sinne und Wahrnehmungen verknüpft, die nicht unmittelbar etwas gemein haben, wie zum Beispiel Töne mit Farben. Wer hat das Wort Timbre mit Klangfarbe übersetzt?

Nun ja, die letzte Frage kann nicht beantwortet werden, doch es scheint laut Um­fragen gewiss zu sein, dass es in künstlerischen Kreisen mehr Synästheten gibt, als in den restlichen Kreisen der Bevölkerung. So heißt es in einer Studie der Universität von Melbourne, dass rund 24 % der befragten Synästheten in einem künstlerischen Beruf tätig waren.[1]

Zeit-Raum-Synästhesie

Bei der Zeit-Raum-Synästhesie, welche im englischen Sprachraum als "Time Space Synesthesia" bezeichnet wird, handelt es sich um eine Form der verhält­nismäßig weit verbreiteten Sequenz-Raum-Synästhesie. Bei letzterer können sowohl Zeit­intervalle, wie Tagestunden, Wochentage oder Monate, als auch Zahlen oder Buchstaben eine synästhetische Wahrnehmung auslösen. Die Unterart Zeit-Raum-Synästhesie bezieht sich hingegen nur auf Zeiteinheiten.

Ein Monatskreis in Farbe
Ein Monatskreis in Farbe, gestaltet nach einer Beschreibung.[2]

Synästheten, welche über eine Zeit-Raum-Synästhesie verfügen, können je nach Veranlagung den Verlauf eines Tages oder Zeitintervalle wie die Tage einer Woche oder die Monate eines Jahres visualisieren. Dabei werden Stunden, Tage oder Wochen nicht nur mit einer Farbe verknüpft, sondern zum Beispiel als Kreis oder Ellipse in den Raum projiziert. Je nach Veranlagung sollen sich diese Projektionen von Synästhet zu Synästhet mehr oder weniger stark unterschei­den, bei den einzelnen Synästheten jedoch gleich bleiben.
Erwähnenswert ist weiterhin, dass Zeit-Raum-Synästheten im Allgemeinen gegen­über Menschen, die nicht diese Sinnesverknüpfungen besitzen, über ein besseres Kurzzeitgedächtnis in Bezug auf Daten verfügen, die sich mit ihren visuellen Kalender verknüpfen lassen. Eine mentale Fähigkeit, deren Vorhan­densein unter anderem durch eine Studie der Universität von Edinburgh bei den teilnehmenden Probanden belegt werden konnte.[3]
 

Weitere Themen, Fragen und Antworten


Wie entsteht unser Zeitgefühl?
Diese Frage ist noch nicht restlos geklärt. Es weist jedoch vieles darauf hin, dass es kein spezielles Sinnesorgan für die Wahrnehmung der Zeit gibt. [mehr ...]

Vergeht die Zeit mit jedem Lebensjahr etwas schneller?
Ja und Nein, wobei sich das "Ja" nur auf die subjektive Wahrnehmung der Zeit bezieht. [mehr ...]
 

Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare:

1 A.N. Richa, J.L. Bradshawb, J.B. Mattingleya: A systematic, large-scale study of synaesthesia: implications for the role of early experience in lexical-colour associations, Cognition 98 (2005) 53–84, doi:10.1016/j.cognition.2004.11.003

2 Bei dieser Grafik haben wir uns weitestgehend nach einer bereits vorhandenen Beschreibung gerichtet, erreichbar unter: My Synesthesia

3 J. Simnera, N. Mayob, M.-J. Spillerc: A foundation for savantism? Visuo-spatial synaesthetes present with cognitive benefits, Cortex (2009) 1246-60, doi:10.1016/j.cortex.2009.07.007

 

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