Wer unter den Lesern bereits den einen oder anderen Unfall
im Straßenverkehr oder in anderen, nicht weniger gefahrvollen Situationen unversehrt
überstand, dürfte den Effekt kennen, dass die Szene wie in Zeitlupe ablief. Zumindest
in der Erinnerung verhält es sich so, da uns zum Beispiel das Auffalten der Motorhaube
so in der Erinnerung erhalten bleibt, als hätten wir eine Szene, die sich in unter
einer Sekunde abspielte, mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen.
Über ein ähnlich gelagertes Phänomen berichten zuweilen Sportler, mit dem Unterschied,
dass im sportlichen Wettkampf der Zeitlupeneffekt nicht durch eine Gefahrensituation
ausgelöst und als Erinnerung gespeichert wurde. Doch welche Gemeinsamkeiten gibt es,
die zu einer zeitlichen Dehnung des Augenblicks führten?
Wie viele Einzelbilder kann ein durchschnittliches menschliches
Gehirn pro Sekunde wahrnehmen und verarbeiten, ehe die Einzelbilder zu einem
als durchgehend wahrgenommenen Film verschmelzen?
Diese Frage stellten sich, neben den Neurowissenschaftlern unserer Tage, bereits
die ersten Filmschaffenden zu Beginn der Stummfilmzeit und führten eine Reihe von
Tests durch. Aus diesen Tests ergab sich, dass, je nach individueller Veranlagung,
ab einer Bildfrequenz von 14 bis 16 Bildern pro Sekunde keine Einzelbilder von den
Testpersonen mehr wahrgenommen wurden, sondern nur noch als bewegte Filmszenen.
Nun, diese ersten Stummfilme waren noch nicht gänzlich flimmerfrei und so dauerte
es nicht lange, bis sich beim Spielfilm eine Bildfrequenz von 24 Bildern pro Sekunde
durchsetzte. Amateure mussten sich im 8-mm Bereich hingegen weiterhin mit einer Bildfrequenz
von 16 bis 18 Bildern pro Sekunde begnügen, die aber für den Heimbereich durchaus
genügte.
Bei den nachfolgenden Betrachtungen, die sich auf durchgeführte Tests zur zeitlichen
Wahrnehmung von Ereignissen und deren Dehnung beziehen, stellen sich jedoch nebenher
weitere andere Fragen. So zum Beispiel Fragen wie die folgenden:
Eine Antwort könnte lauten: Wir nehmen Ereignisse nicht
(oder nur selten) als Einzelbilder war, sondern als Szenen. Ebenso verhält
es sich mit unseren Erinnerungen an diese Ereignisse.
Weiterhin ist nicht die Anzahl von Bildern pro Sekunde allein entscheiden, ob wir
ein Bild als solches wahrnehmen oder als Film oder gar nicht, sondern nicht minder
die Dauer der Einblendung und deren Intensität. Werden wir im öffentlichen Straßenverkehr
bei einer Geschwindigkeitskontrolle geblitzt, werden wir den Blitz in der Regel
wahrnehmen, auch wenn sich dieses Ereignis in einem Zeitraum von einer Millisekunde
(1/1000 s) abspielte.
An Schrecksekunden in einer gefahrvollen Situation können
wir uns oft erinnern, als hätten wir das Ereignis wie in Zeitlupe erlebt. So blieb
z.B. dem Autor ein Auffahrunfall im innerstädtischen Straßenverkehr im Gedächtnis
haften, bei dem er deutlich wahrnahm, wie sich die Motorhaube seines Fahrzeuges verkürzte
und nach oben auffaltete. Doch wie lange könnte dieser Vorfall real gedauert haben?
Nehmen wir hier eine Anfangsgeschwindigkeit von etwa 50 km/h und eine Endgeschwindigkeit
von 0 km/h bis zum Stillstand des Fahrzeuges und berücksichtigen dabei noch, dass
das Heck des stehenden Fahrzeuges nur einseitig getroffen wurde, so kann der ganze
Ablauf dennoch nicht wesentlich länger als eine Zehntelsekunde gedauert haben.
Doch wie viele Einzelbilder lassen sich in einer Zehntelsekunde wahrnehmen oder als
filmische Sequenz speichern? Können wir in Gefahrensituationen auf einen Zeitlupeneffekt
umschalten?
Fragen ähnlich den vorausgehenden stellte sich auch der US-amerikanische Neurowissenschaftler
David Eaglemann und führte mit freiwilligen Akteuren nicht für ängstliche Naturen
gestaltete Tests durch.
Um die Tests so realistisch wie möglich zu gestalten und einen ähnlichen Zustand
wie in einer echten Gefahrensituation zu erreichen, wurde eine Freifallvorrichtung
für Scad Diving genutzt. Dabei wurden die Probanden in größerer Höhe ausgeklinkt
und nach über 30 Metern im freien Fall von einem Netz weich aufgefangen.
Weiterhin wurde eigens für diese Tests eine Anzeige ähnlich einer überdimensionalen
digitalen Armbanduhr konstruiert. Auf dieser überdimensionalen "Armbanduhr" wurde
eine Zahl blinkend eingeblendet, wobei die Bildfrequenz der Einblendungen einige
Millisekunden unterhalb der individuellen Wahrnehmungsgrenze lagen.
Das Ergebnis der Tests soll jedoch mehr als durchwachsen gewesen sein, wie es heißt.
Ob die freiwilligen Testpersonen wirklich Ängste wie in lebensgefährlichen Situationen
ausstanden oder nur einen Kick der besonderen Art erlebten, ist und bleibt zumindest
fraglich. Die Testpersonen sollen mehrheitlich auch im freien Fall keine Ziffer wahrgenommen
haben.
Eaglemann und andere Wissenschaftler schlussfolgerten daraus, dass der Mensch in
Gefahrensituationen möglicherweise nicht mehr Bilder wahrnimmt als in weniger
gefahrvollen Situationen, nur im Gedächtnis mehr hängen bleibt. Beim Abruf muss das
Gehirn dann mehr Informationen als üblich abrufen und verarbeiten, wodurch sich erst
nachträglich ein Zeitlupeneffekt bilden könnte.
Es sei angemerkt, bislang handelt es sich wohl noch mehr um eine Hypothese als um
eine Theorie und das eigene Erlebnis mit der sich auffaltenden Motorhaube scheint
gegen die Hypothese zu sprechen. (Stand: 2016)
Von einem Zeitlupeneffekt berichten gelegentlich ebenfalls
Sportler. Im Gegensatz zur Wahrnehmung in einer Gefahrensituation handelt es sich
bei sportlichen Wettkämpfen jedoch mehr um eine Steigerung der Aufmerksamkeit, um
rechtzeitig und angemessen auf die Aktionen eines Wettkampfgegners reagieren zu können.
Zusätzlich ist davon auszugehen, dass Sportler allgemein eine kürzere Reaktionszeit
als untrainierte Menschen besitzen, die zum großen Teil über Jahre antrainiert wurde.
So wird unter anderem von Tennisprofis berichtet, die den Ball wie in Zeitlupe kommen
sehen.
Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich im Gehirn von Sportlern, die sich
auf eine schnelle Reaktion vorbereiten, die visuelle Wahrnehmung gesteigert wird.
Bedingt durch die Wahrnehmung von mehr Einzelheiten, könnte sich das Zeitempfinden
verlangsamen. Da im selben Zeitfenster mehr Informationen verarbeitet werden müssen,
so könnte sich dieses zeitliche Fenster in der Wahrnehmung dehnen.
Weiterhin steht der Botenstoff Dopamin unter Verdacht, eine gewisse Rolle spielen.
Bekannt ist, dass ein Mangel an Dopamin einen gegenteiligen Effekt bei Parkinson-Patienten
auslösen kann, so dass diese wie es heißt, Situationen in der Regel eher verkürzt
als gedehnt empfinden. Mehr Dopamin könnte, so die Vermutung, möglicherweise den umgekehrten
Effekt auslösen.
Doch bei letzteren handelt es sich bisher ebenfalls mehr um eine Vermutung als um
eine Theorie, wobei ersteres hingegen als Theorie mit einer Studie unterlegt werden
konnte.
Gleich ob bei Gefahr oder im sportlichen Wettkampf, in gewissen
Situationen werden von unserem Gehirn mehr Informationen verarbeitet, als im täglichen
Leben. Von dem was wir im täglichen Leben an visuellen und akustischen Informationen
aufnehmen, ob bewusst oder unbewusst wahrgenommen, spielt nur eine geringe Rolle,
wird der größte Teil als unwesentlich ausgefiltert und bleibt zumindest nicht in
der bewussten Erinnerung an Ereignisse hängen.
Anders in nicht alltäglichen Situationen, da es in diesen situationsbedingt auf jede
Kleinigkeit ankommen könnte. Da unser Gehirn aber darauf ausgelegt ist, nur eine
durchschnittliche Menge an Informationen mit einer Zeitspanne zu verbinden, könnte
sich durch diese zusätzlichen Informationen die gefühlte Zeitspanne verlängern, wodurch
ein Zeitlupeneffekt entstehen würde. Ob dies zumindest teilweise erst bei Abruf eines
Ereignisses aus der Erinnerung erfolgt, könnten nur weitere Tests und Studien ergeben.
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