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Festlichkeiten in Tena

Mit Chicha und Zuckerrohrschnaps

Während ich über die Paradoxien des Lebens, Völkerwanderungen, Erobe­rungen, Schlachten, Kriege und Religion nachdenke, reicht mir eine traditionell gekleidete Indianerfrau einen Trank in einer Kokosschale. Da ich schon das Meerschweinchen verschmäht habe, bedanke ich mich zuvorkommend und spüle die Flüssigkeit hinunter, bevor die Schale neu gefüllt und weitergereicht wird. Hinterher erfahre ich, wie die so genannte Chicha zubereitet wird: Die Indianerfrauen kauen Yucca­fasern und spucken diese mit viel Spucke wieder aus. Diese Masse lässt man dann gären, bis der fermentationsfördernde Spei­chel seinen Dienst getan hat. Prost!

Auf der Strasse freunde ich mich mit einer Gruppe junger Südamerikaner verschie­dener Länder an, die über den Kontinent reisen und sich mit Musik und selbst gemachtem Schmuck, den sie auf der Strasse verkaufen, über Wasser halten. Anlässlich der Festlichkeiten verbringen sie nun ein paar Tage in Tena, wo sie eine befreundete Familie hospitiert, zu der sie mich und eine andere Freiwillige prompt für den selben Abend auf einen Zuckerrohrschnaps ein­laden. Mit der anderen Freiwilligen gehe ich also zunaechst zu ihrem neuen indigenen "Novio", um einige indianische Instrumente zu holen und anschlie­ßend machen wir uns auf zu den fahrenden Sängern.

Als wir bei der Familie ankommen sitzen gerade alle am Tisch, auf dem sich ein Berg roher Maiskolben befindet und Kinder wie Erwachsene pulen mit ihren Fingernägeln die Maiskörner von den Kolben in Schüsseln. Die Gruppe hilft mit, quasi ein kleiner Beitrag für die Familie, die sie hospitiert, und die den Mais am nächsten Tag in gekochter Form auf der Strasse verkaufen wird. Alle sind fröhlich, lachen, mehrere Kleinkinder spielen auf dem Boden, eines davon, fast zwei Jahre alt, krabbelt auf einen Stuhl, zieht der Mutter das Hemd hoch, packt deren Busen aus und fängt an zu trinken, während diese sich weiter mit uns unterhält.

Leider ist aus meinem Plan, mir aus Angst vor Malaria keinen einzigen Stich einzufangen, nix geworden (ich musste einsehen, dass der hohe, dazu benötigte Insektenschutzausstoß mein Volontärgehalt von 50 $ monatlich leicht über­steigt..), und so pule ich abwechselnd am Mais und an meinen, die Beulenpest verkörpernden Beinen herum. Als der Familienvater das sieht, schickt er einen der Jungen los, der ein paar Minuten später mit frisch gepflückten Blättern von irgendeiner Pflanze wieder auftaucht. Diese werden gekocht und mir dann auf die Stiche gelegt. "Enthalten Penizillin" sagt der Vater, "natürliches Antibioti­kum".

Später in der Nacht, nach Drago-durchtränkten heißblütigen politischen Dis­kus­sionen, zu denen ich inbrünstig auf italienisch-spanischem Kauderwelsch meinen westlichen Senf abgebe, nach wilden spanischen Gitarrengesängen die sich mit melancholischen Quechua-Violineklängen abwechseln, bin ich ver­nünftig und gönne mir ein Taxi nach Hause. Tena ist "tranquilo", sagen die Einheimischen, aber "während den fiestas wisse man nie..".
Tatsächlich erfahre ich ein paar Tage später, dass der Bruder eines Freundes von mir nur eine Strasse von meinem Haus entfernt überfallen worden ist. Der Preis, den Edwinson für seinen nächtlichen Spaziergang bezahlen muss: 2,50 $ und ein Messer zwischen den Rippen. Stark blutend, kann er sich gerade noch zur nächsten Polizeistation schleppen, die ihn ins Krankenhaus bringt, wo er sich zum Glück nach ein paar Tagen erholt.
Mir kommt der Name der studi-vz-Gruppe in den Sinn, der ich vor einer Woche "beigetreten" bin: "Oh qué lindo y peligroso, qué eres, mi Ecuador!". Ja, wie wundervoll und gleichzeitig doch auch gefährlich bist du doch, mein Ecuador!

Anja Bosch, im März 2009 – Erlebnisse in Ecuador – Kapitel I

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Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare:

 

 

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