Tena, meine neue Heimatstadt für die kommenden 8 Monate,
ist mit seinen 17 000 Einwohnern (davon knapp 75% indigener Herkunft) eine
Nummer größer und dreckiger als Arosemena Tola. Heiße, von Abgasen durchtränkte Luft
schlägt mir auf der Hauptstraße entgegen, die sich, gesäumt von Tante-Emma-Lädchen
wie aus den deutschen 50ern, durch die ganze Stadt inklusive des Flusses schlängelt.
In diesem plantschen mittags die kleinen unterhosigen Indio-Kinder, die sich morgens
nett und adrett, in Schuluniform an meinen Hals hängen und meine blondiert herauswachsenden
Haare befühlen. "Como una muñeca!" rufen sie, waehrend ich noch kein Wort
verstehe und erst zu Hause mit Hilfe meines Wörterbuches erfahre, dass ich Puppenhaar
besitze.
Staubig ist es, wenn es nicht gerade Hunde und Katzen regnet, was es alle paar Stunden
tut. Apropos Hunde, die fallen hier wohl wirklich vom Himmel und haben es binnen
kürzester Zeit geschafft, mich mit ihren nächtlichen Straßenkämpfen und -meutereien
zum erklärten Hundefeind zu machen. Auch die unzähligen Hähne, die oft schon um zwei,
drei Uhr nachts zu schreien beginnen, fördern nicht gerade meine Tierliebe, für die ich
bisher als überzeugte Vegetarierin immer weit und breit bekannt war.
Für Vegetarier hat man hier übrigens wenig Verständnis und es bieten sich für dieselbigen
ziemlich genau folgende Möglichkeiten an: Reis mit Bohnen, Reis mit Linsen, Reis
mit Yucca, oder Reis mit Kochbananen. Im Glücksfall gibt es einen "Salat":
Klein geschnittene Zwiebeln mit Tomaten (in eben dieser Reihenfolge),
angemacht mit Salz und Zitronensaft.
Allerdings kommt mir die Ausrede, kein Fleisch zu essen, in manchen Momenten doch gar nicht so ungelegen. Etwa, wenn ich nach Hause komme und die Familienangehörigen meiner Gastgeberin seelenruhig aus einem Schildkrötenpanzer deren fleischliche Bestandteile löffeln und mich dazu einladen mitzuessen. Oder wenn mich Bekannte während eines Festivals in der Stadt dazu überreden wollen, ein Cuy mit ihnen zu teilen, ein am Spieß gegrilltes überdimensionales Meerschweinchen...
In derartige Festlichkeiten werde ich, gerade mal ein paar Tage angekommen, auch schon hineingeworfen, als die Stadt Tena in bescheidenen 2-wöchigen Festlichkeiten (das übrigens jedes Jahr) ihren 448. Geburtstag feiert. Umzüge und Märsche durch die Strassen, Konzerte, Taenze und Sportwettbewerbe, bereichert durch traditionelle Speisen, die überall an Straßenständen zu erwerben sind, bekomme ich einen ersten Eindruck der Gegend und seiner Bewohner. Diese sind zwar besonders in diesem Teil Ecuadors relativ arm, scheuen aber augenscheinlich weder Kosten noch Mühen, um sich und ihre unzähligen Kinder würde- und prachtvoll für die Tanzumzüge auszustatten. Von traditionellen Indianertrachten, bestehend aus Perlen, Palmrinde und -blättern, über farbenprächtige Folkloretrachten aus den Anden mit weiten Röcken und bestickten Blusen, für Männer felllederner Beinbehang und rote Ponchos, reicht die Bandbreite bis hin zu Salsa-adäquaten Glitzerkleidchen. Auch afroecuadorianische, kunstvoll aufgeschlungenen Kopftücher sind hie und da zu sehen.
Anja Bosch, im März 2009 – Erlebnisse in Ecuador – Kapitel I
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Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare: