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Erlebnisse in Ecuador II

Von der Gringa mit dem blonden Puppenhaar

Ich bin eine Gringa hier. Das erkennt man nicht nur an meinem blonden "Puppen­haar", an meiner, die übliche Bevölkerung überragenden Statur und an meinem europäischen Aussehen, sondern auch an der Geschwindigkeit, mit der ich mich fortbewege. Während die Einheimischen scheinbar ziellos durch die staubigen Strassen schlendern, in Hauseingängen sitzen und sich mit ihren Nachbarn unter­halten, renne ich in hektischen Schlangenlinien um sie herum. Warum? Weil ich europäisch getrimmt bin, Zeit einzusparen wo möglich (schnell gehen, Simultan­aktivitäten ausführen, knapp kalkulieren, kurz ange­bunden sein) um diese "ein­gesparte Zeit" für anderes zu nutzen: Geld, Genuss.

Zur Erlangung des Ersteren, ist es mir gelungen, eine kleine Gruppe von Kin­dern zusammenzustellen, die nachmittags privaten Englischunterricht von mir erhält. Außerdem mache ich mir meinen einjährigen Italienaufenthalt zunutze, während dem ich Pizza backen gelernt habe, die ich nun hier in meinen freien Stunden produziere und verkaufe. Den Genuss versuche ich, wo immer möglich, da­zwischenzuquetschen.

So renne ich also von der Schule nach Hause um mich "wenigs­tens" noch eine halbe Stunde aufs Ohr legen zu können, bevor es an die Privatlektionen geht. Von diesen wiederum renne ich nach Hause um schnell meine Sachen zu packen um noch "wenigstens" ein bisschen Genuss in der Sonne am Fluss ver­bringen zu können, bevor diese nach (ausnahmsweise immer pünkt­licher) äquatoriani­scher Zeit um 18:00 Uhr unter­geht.

Wenn ich am Fluss ankomme regnet es. Ich renne nach Hause um die Regenzeit zu nutzen um meinen Unterricht vorzubereiten, oder um Pizza zu machen. Während diese im Ofen backt schaue ich hektisch auf die Uhr weil ich unbe­dingt auch noch "aktiv genussvoll" Zeit mit meinen Freunden am Abend verbringen will...

Soviel also zu einem meiner Hauptmotive, mit denen ich hier angereist bin: Das schöne Unwort, das hier keiner kennt, sondern welches in den verzweifelten Köpfen kapitalistischer Industriestaatler entstanden ist: Entschleunigung.....

Der Rio Tena in Ecuador

Schon in der ersten Woche schrieb mir mein Koordinator in mein "all-in-one" -Heft, in dem ich Vokabeln, Adressen, Liedtexte, Sprüche und Ortsbeschrei­bungen sammle, Folgendes:

"Es mejor disfrutar lo qué haces,
qué hacer lo qué disfrutas."

"Es ist besser das zu geniessen was Du tust,
als das zu tun was Du geniesst."

Bis vor kurzem dachte ich: "Hae, ist doch das Gleiche!" Aber ich beginne zu ver­stehen was wirklich gemeint ist.

Bild rechts und unten: © Anja Bosch

Die Menschen hier trennen nicht zwischen Arbeit und Freizeit, Familie, Freun­den und Spass. Alles findet beständig den ganzen Tag über hinweg statt, mal mehr so gefärbt, mal mehr so. Die Lehrer lachen mit ihren Schülern und albern herum, während die Gringa mit dem Stock auf den Tisch haut, weil ihre Unterrichtszeit nicht ernst und effektiv genutzt wird. Und schließlich will sie, dass die Schüler (schnell, zeitsparend) lernen! Aber langsam beginnt auch die Gringa zu begreifen.

Natürlich lässt eine Vielzahl der hie­sigen typischen Erwerbstätigkeiten die­ses Leben auch zu und prägt es.
Wenn hier beispielsweise eine Indígena den ganzen Tag gearbeitet hat, war sie morgens früh im Wald, hat Früchte, Nüsse, Samen oder andere Dinge ge­sammelt und geerntet und verbringt dann den Rest des Tages an einer Straßenecke gemein­sam mit ihren Kindern und Freun­dinnen um etwas zu verkaufen.

Oder sie steht hinter einem der Straßengrills, auf denen überall den ganzen Tag lang Kochbananen, Mais und Hähnchen brutzeln und hält mit den vorbei­schlendernden Bekannten Schwätzchen. Die Kinder der Tante-Emma-Laden-, und Restaurant­besitzer tollen in denselben mit ihren Geschwistern auf dem Boden herum, oder lassen sich von ihren Eltern bei den Schulaufgaben helfen und werden jeweils nur kurz von der besuchenden Kundschaft unterbrochen. Nicht selten packen die Kleinen dann auch mit an und so kann es passieren, dass mir ein 10-jaehriger Junge ein besonders effektives Insektenschutzmittel empfiehlt, welches letztendlich dann aber doch nicht verhindern kann, dass die Hälfte meines Blutes in Mosquitobäuchen durch die ecuadorianische Amazo­nas­luft fliegt.

Anja Bosch, im April 2009 – Erlebnisse in Ecuador – Kapitel II

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Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare:

 

 

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