Um mein bis dato kaum vorhandenes soziales Leben ins selbige zu rufen
(mittlerweile sind die anderen Freiwilligen wieder abgereist), mache ich mich auf die
Suche nach einem Sportverein oder einer Tanzgruppe. Was mir als ein Leichtes erscheint,
entpuppt sich als eine mittlere Hürde, da in meinem Alter alle verheiratet und mit ihren
Kindern beschäftigt sind.
Ich entschließe mich letztendlich dazu, es mit der Kichwa-Tanzgruppe[1]
des Rathauses zu versuchen. Dort angekommen, sehe ich mich 20 Kindern und Jugendlichen
im Alter von 8 bis 18 Jahren gegenüber, die mich zum Teil herzlich willkommen heißen, zum
anderen Teil jedoch noch etwas misstrauisch beäugen. Ich erfahre, dass die Gruppe alle
typisch ecuadorianischen Tänze einstudiert und vier mal die Woche 2 bis 3 Stunden
probt.
Als diplomierte Sportwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Tanz und Bewegungstheater
bin ich Feuer und Flamme und beschließe, von nun an nach meinen Privatlektionen am Nachmittag
nicht mehr zum Fluss, sondern zur Tanzstunde zu rennen, die bei 35 Grad Celsius unter
freiem Himmel auf dem verbreiterten Gehsteig vor dem Eingang der Kulturdirektion des
Rathauses stattfindet.
Mit einer Klebeschicht aus Schweiß und Staub überzogen setze ich mich nach meiner ersten
Folkloretanzlektion fuer ein Stündchen auf das nicht weniger verdreckte Dach eines
Hostals mitten in der Stadt und genieße erschöpft aber glücklich den Sonnenuntergang
über dem Regenwald.
Gemütlich nach Hause schlendernd nicke ich anschliessend zufrieden
den abgehauenen Köpfen diverser Kühe und Schweine zu, die sich in den Auslagen der
Fleischverkäufer entlang der Hauptstrasse befinden. Ich bin glücklich, ausgelastet und
freue mich auf einen Schwatz mit der Señora, bei der ich lebe.
Als ich zu Hause ankomme, befindet sich diese mit ihren 62 Jahren gerade auf einem
höhentechnisch nicht zu verachtenden Baum im Vorgarten, um ein paar exotische klebrige
Früchte zu ernten. Gleichzeitig mit mir erscheint einer ihrer Söhne auf der Bildfläche
und beginnt zu schimpfen. Nicht, wie ich zunächst annehme, aus Sorge um die Mutter,
sondern aus Sorge um den Baum. Dieser, so erklärt er mir, wird nun künftig keine
Früchte mehr tragen, da eine Frau auf einem Baum denselben zur Eifersucht und
Unfruchtbarkeit verleite.
Aha, denke ich, während ich fieberhaft überlege, wie ich wohl am Besten die Señora auffangen
könnte, im Fall der Fälle. Zum Glück lässt diese sich durch das Geschimpfe ihres Sohnes vom
Baum locken und landet wieder heil auf der Erde.
Derartiger Aberglaube scheint hier verbreitet zu sein, so erklärt mir die Señora wenig
später, dass der Grund für die schlechte Maisernte auf ihrem Grundstück darin läge,
dass dieser an einem Samstag gepflanzt wurde. Sie hätte es ja gleich gewusst, aber der
Arbeiter hätte nicht anders Zeit gehabt und da habe sie eben diesen Fehler begangen.
Schmunzelnd muss ich mich daran erinnern, wie ich vor kurzem auch mit dem Aberglauben
einer ihrer Töchter konfrontiert wurde. Mit ihrem neugeborenen zuckersüßen Säugling
stattete sie uns einen Besuch ab, bei dem sie mir jedoch verwehrte, das kleine Wesen auf
den Arm zu nehmen, da ich meine Tage hatte und das angeblich schwere Krankheiten bei Babys
hervorrufen könne...
Anja Bosch, im Mai 2009 – Erlebnisse in Ecuador – Kapitel III
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Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare:
1 von H. Müller
Mit dem Begriff Kichwa werden in Ecuador die unterschiedlichen Varianten einer Sprachfamilie
und deren Angehörige bezeichnet. Kichwa ist eine Form der Quechua-Sprache und wurde einst,
begünstig durch die Eroberung durch die Inka, verbreitet um Verständigungsprobleme
zwischen den indigenenVölkern zu beseitigen.
Wie alle indigenen Völker, so verfügen auch die Kichwa über ein reichhaltiges Repertoire an Folklore. Neben mündlichen Überlieferungen gehören zu diesem Repertoire unterschiedliche Tänze und Trachten, die durch Folklore-Tanzgruppen gepflegt werden.