Als wir nach zweieinhalb Tagen die Rückfahrt antreten wollen,
die uns pünktlich zum morgendlichen Schulbeginn am nächsten Tag nach Tena befördern
soll, stehen wir vor einem durchaus südamerikanischen Problem: Es kommt kein Bus.
Nach einigen Stunden beginnen wir, den vorbeifahrenden Autos zuzuwinken und sie um
"pasage", eine Mitfahrgelegenheit in die nächstgrößere Stadt landeinwärts
zu bitten.
Wir enden in einem, mit Menschen geringfügig überladenen "ecuadorianischen Cabrio".
War die Fahrt im Bus ein Abenteuer, so ist diese, zumindest erscheint es mir so, ein
Himmel-"fahrts"-Kommando. Auf der Ladefläche eines Pick-ups, der (aufgrund
der Schlaglöcher, so erfahre ich) fast ausschließlich auf der Gegenspur um die
Kurven rast, versuche ich, die Gesichter der Passagiere den Körpern zuzuordnen, die
sich auf diversen Teilen meines Körpers befinden, den ich der Panik halber auf den
Grund der Ladefläche presse. Unerklärlich ist mir, abgesehen von der Tatsache, dass
wir überleben, der Fakt, wie einige, der auf dem Rand sitzenden Passagiere es anstellen,
bei vom Fahrer übersehenen Schlaglöchern nicht aus dem Gefährt katapultiert zu werden.
Nach einigen Stunden und doppelt so vielen Stossgebeten erreichen wir Quito und müssen
feststellen, dass es trotz der rasanten Fahrt (gegen Ende habe ich mir einfach
vorgestellt ich befände mich in einem Fahrgeschäft auf der Kirmes) mit dem folgenden
Schultag wohl nichts wird. Vor vier Uhr morgens gibt es keinen Anschlussbus nach
Tena. Wenn schon denn schon, denke ich mir und überrede meine mir noch einzig verbleibende
Mitreisende zu einem eintägigen Aufenthalt in Quito, welches ich ja bereits zweimal
passiert, jedoch nie besichtigt habe.
Den lieben Gott weiterhin auf die Probe stellend, brechen wir innerhalb der nächsten
halben Stunde sämtliche Sicherheitsregeln, die mir mein Reiseführer so dringend ans
Herz legt:
In einem 4 $ teuren Hostal im Bahnhofsgebiet schließen wir
also wenig später unser "Doppelzimmer" auf, welches sich leider von innen
NICHT abschließen lässt und dessen Licht man ein- und ausschaltet, indem man zwei
aus der Wand ragende Drähte zusammen- oder auseinanderbiegt. Wir schlafen zu zweit
in einem Bett, da das andere erstens geruchstechnisch schwer zu ertragen ist und es
zweitens bitterkalt ist auf den 3000 Höhenmetern. Zigeunerinnen nicht unähnlich,
haben wir uns sämtliche mitgeführten Strandklamotten zwiebelartig über den Leib
gestülpt und zittern uns (mehrfach bedingt) in den Schlaf.
Abgesehen von unserem noch immer vorhandenen Leben werden wir dafür am nächsten Tag
von
strahlendem Sonnenschein belohnt, der eine fantastische Sicht auf die, die Millionenstadt
umgebenden Berge zulässt. Die wunderschöne Altstadt Quitos ist gepflegt und erinnert
mit ihren, in Pastellfarben gestrichenen Altbauten und den prachtvollen Kirchen
ein wenig an Spanien, was ja nun aufgrund der südamerikanischen Geschichte nicht sonderlich
verwunderlich ist. Gemütlich schlendern wir durch die Strassen und
probieren die kulinarischen Köstlichkeiten der Anden, bevor wir im Guayasamin-Museum
die Werke des berühmten ecuadorianischen Künstlers bestaunen, der ein wenig an
Picasso erinnert.
Um es nun mit der Kühnheit nicht zu übertreiben, dränge ich darauf, noch vor Einbruch
der Dunkelheit den Bahnhof aufzusuchen und uns um ein Rückfahrticket nach
Tena zu kümmern.
Unsanft reisst mich der Busfahrer bei der Ankunft in Tena um Mitternacht aus meinen
wirren Träumen, in denen ich mittels zweier Stromkabel ein Erdbeben auslöse, welches
schließlich tsunamieartige Wellen verursacht, woraufhin ich vom Strand in die Stadt
flüchte und mich im Dschungel der Kirchen nicht zurecht finde. In mehreren Hauseingängen
sitzen getarnte Ganoven, die versuchen, mich mit Leckereien in ihre Häuser zu
locken, von denen ich aber genau weiß, dass sie mir nur meinen Rucksack entreißen
wollen.
Dementsprechend brüsk reagiere ich auf die Bemühungen des Chauffeurs, mich aus dem
Land der Träume zu holen. Kleinlaut eine Entschuldigung murmelnd stolpere ich aus
dem Bus und taumle schlaftrunken nach Hause, wo die Señora, bei der ich wohne, noch
in der Küche werkelt. Sie schneidet dicken kurzen (lebendigen) Würmern die
Köpfe ab, um diese dann zu frittieren und das daraus gewonnene Öl ihrem, an Bronchitis
erkrankten Enkel auf die Brust zu schmieren. "Na dann gute Nacht"
flüstere ich und falle ins Bett, während ich schwer hoffe, dass sich die Würmer nicht
auch noch, etwa in überdimensionaler Ausartung, in meine Träume mischen.
Anja Bosch, im April 2009 – Erlebnisse in Ecuador – Kapitel II
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Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare:
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